Eine besondere Freundschaft

Industriekaufmann und Künstler

"Mitte der 1960er Jahre durfte ich meinen Vorgesetzten in eine mir bislang unbekannte Werkstatt begleiten, wo er ein Geburtstagsgeschenk kaufen wollte. Es ging zum Keramiker und Kunstmaler Gustav Spörri im Trubegüetli in Neuhausen am Rheinfall.

Da standen wir inmitten von 
hunderten Vasen, Krügen,
Tellern in flammenden Farben oder uni dekoriert mit
Vögeln, Pferden, geometrischen oder phantasievollen Mustern – alles geschaffen von einem einzigen Mann. Wie eindrücklich! Auch die Umgebung mit den elektrischen Brennöfen, Drehscheiben und Handwerkzeugen wie Spachteln, Gravur-Hölzer u.a.m.

Im Vergleich zu «meiner» Maschinenfabrik mit den 1’000 Mitarbeitern eine völlig andere Welt, mit einem einzigen «Arbeiter», der Besitzer, Entwerfer, Former, Maler, Graveur, Glasierer, Brenner und zugleich Verkäufer war. Kurz: ein Künstler.

Mein Chef entschloss sich rasch für eine Bodenvase. – «Darf ich wieder einmal kommen» fragte ich den Künstler bei der Verabschiedung, was mit «Ja, gerne‚» beantwortet wurde.

So zog es mich immer wieder ins Trubegüetli zu Gustel, wie ihn Freunde nennen durften – ich bald auch! Der Gedankenaustausch zwischen zwei Männern aus verschiedenen Berufswelten war für mich spannend und zugleich entspannend.

Freude brachten Sonnenblumen aus meinem Garten, die Gustel häufig auf seinen Krügen, Vasen und Tellern, uni oder farbig, darstellte. Waren sie im Atelier verblüht, fristeten sie noch ein langes Leben, in braun-dürrem Zustand. «Alles vergeht», kommentierte Gustel.

Im Laufe der Jahre durfte ich manches der schönsten Keramik-Unikate erwerben. Dabei galt es, sehr behutsam vorzugehen, denn wie alle Künstler trennte sich Gustel nur unter seelischen Schmerzen von seinen Werken.

Nach und nach weihte mich Gustel in einige seiner Arbeitsgeheimnisse ein, zum Beispiel wie sogenannte Rauchglasuren (geflammte) entstehen: beim Endbrand (der Glasur) wird Kampfer in den Ofen geworfen, die Ofentüre musste aber einen Spalt geöffnet bleiben – und gebrannt wurde meistens mit dem billigen Nachtstrom. Gustel richtete dann den Wecker auf die erforderliche Brennzeit und schlief daneben in einem alten Lehnstuhl, winters eingehüllt in eine Wolldecke.

Das Einatmen der austreten- den, giftigen Dämpfe führten zur Schädigung seiner Lunge – und später zum frühen Tod!

Da half kein Hinweis auf die Gefährlichkeit solcher Arbeitsmethoden, und Rauch-Absaugungen fehlten in diesem Heimbetrieb!

Wir zwei kamen uns immer näher; Gustel erzählte bruchstückweise von seinen Erlebnissen unter russischer Besatzung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Dresden und von der abenteuerlichen Flucht unter Lebensgefahr in die Schweiz.

Ich durfte auch meine Kamera auspacken, um Fabrikate und den Mann aufzunehmen. Für das letzte Unterfangen eignete sich die zweiäugige Rollei-Spiegelreflex besonders gut. Man konnte seitlich gegenüber dem «Opfer» sitzen und die Kamera, 90o gedreht, durch den Schachtsucher, auf dieses richten. So findet sich das Objekt nicht dem Glasauge ausgesetzt, was bekanntlich zum Erstarren der Minen aller Foto-Modelle führt.

Gustel anerkannte die Qualität der Porträts und des Fotografen, so dass er ihn zum Reporter an der Hochzeit seiner Tochter Heide ernannte. Es entstanden s/w-Aufnahmen (mit Vergrösserungen aus meiner Dunkelkammer) und ein Super- 8-Farbfilm. Zum Dank schenkte uns Gustel ein modernes Gemälde und einen lieben Brief.

Für mich waren die Gespräche mit Gustel, umgeben von seinen Werken, reine Erholung vom Stress eines Maschinenverkäufers. Allerdings erwies sich meine anfängliche Vorstellung, freischaffende Künstler hätten keine Sorgen, als reine Illusion.

So lastete zum Beispiel die Aussage einer Dame aus der Haute Volée, sie bringe ihm Muster aus dem Warenhaus für die Delfter Kacheln, die sie für ihr neues Bad von Gustel bestellt hatte, als tief nagender Affront, der ihn über Jahre verfolgte, hatte er doch sämtliche Original-Sujets der «Delfter» in Form von Zeichnungen aus seiner Dresdner Zeit verfügbar.

Auch die schnöde Ignoranz der einheimischen Kunstszene war enttäuschend für ihn. Die Rücksendung einer Kollektion für eine Ausstellung in einer Nachbarstadt war ein Tiefschlag. Bei einem «Kontrollbesuch» meiner Familie in besagter Ausstellung (ohne Spörri) sahen wir eine uniforme Kollektion einfarbiger Glasuren und erkannten, dass die Objekte aus Neuhausen alles in den Schatten gestellt hätten. Die Organisatoren «mussten» so brüsk handeln, um einen peinlichen Stilbruch und eine Blamage für alle andern Künstler zu vermeiden! Aber die Niederlage, die er empfand, musste Gustel verarbeiten.

Gegen Ende 1975 rächten sich bei ihm die gesundheitlichen Sünden beim Brennen der Rauchglasuren mit Atembeschwerden; nach einem Kollaps wurde Gustel in die Schaffhausisch- Thurgauische Heilstätte Davos eingeliefert. Bei meinem späteren Besuch dort sass ich vor einem schwer kranken, unter Hustenanfällen leidenden Mann. Nur mit Mühe konnte ich meine Tränen zurück halten. Meine Befürchtung über den weiteren Verlauf der Beschwerden bestätigte sich durch die kurz darauf folgende Todesnachricht!

Einige Zeit nach der Beerdigung besuchte ich Gustels Frau Liselotte, der ich aus der Verlegenheit betreffend Gustels Grabstein («Wir haben nie darüber miteinander gesprochen») helfen konnte, hatte Gustel doch einmal von einem «rohen Melser-Stein» geschwärmt. Den bestellte Frau Liselotte umgehend bei einem der Familie bekannten Steinmetz. Ein letzter Dienst für Gustel – und ein kleiner Trost für mich!

Meine Frau Hanni und die Kinder Ursula und Reto nahmen an meiner Freundschaft mit Gustel freudigen Anteil. Gustels Meisterstücke in unserer Wohnung halten die Erinnerung an einen einmaligen Künstler und Freund auch 37 Jahre nach seinem Tod lebendig.

Christian Michael-Gautschi

Text: "Industriekaufmann und Künstler" erscheinen im Kunst-Bildband "BEGEGNUNGEN MIT GUSTAV SPÖRRI 1902-76"

www.gustav-spoerri.ch

Keramische Arbeiten von Gustav Spörri
Ausstellung: Museumsnacht Schaffhausen 15. September 2012

Galerie tabouret, Hintersteig 3, 8200 Schaffhausen

 

 

Christian Michael-Gautschi mit Sohn Reto 

an der Vernissage der Museumsnacht Sonderausstellung

"Gustav Spörri"