Neptun AG Basel: 16.5.1949 - 31.7.1950

Christian im Rheinhafen Kleinhüningen

Eigentlich wäre nach Neuchâtel ein Englisch-Sprach-Aufenthalt angezeigt gewesen, aber anno 1949 waren Arbeits-Bewilligungen für Grossbritannien kaum erhältlich. Zudem hatte ich Beden-ken wegen meines nervösen Magens, der bei nicht angepasster Speise heftig reagierte. Also konzentrierte ich mich auf den Schweizer Arbeitsmarkt, doch wollte ich nicht irgendeinen „Büro-Job“.

Deshalb sprach mich ein Inserat der Neptun Transport- und Schifffahrt AG Basel an. Die Bewerbung verlief positiv, und am 16. Mai 1949 stand ich in einem Büro der Neptun als "neuer Mitarbeiter". - Es gab keinerlei Einführung; alles war fremd für mich; die Fach-Sprache der Binnenschifffahrer verstand ich nicht, überhaupt wusste ich nicht, was die Leute um mich herum taten (spätere Erkenntnis:  es war einfach die Verkaufsabteilung für Frachten).

In der dritten Woche hatte man doch bemerkt, dass der neue Mann nichts leistete d.h. leisten konnte. So wurde ich versetzt ins sogen. „Verrechnungsbüro“ (Fakturierung) zu Monsieur Nappez, einem Franzosen, der ein geduldiger Lehrer war, ausschliesslich in französischer Sprache. Ich war glücklich.

Die Arbeit bekamen wir in Form dicker Dossiers vorgelegt, die es zu zerpflücken gab. Sämtliche Original-Papiere waren verfügbar, von den Meer-, Rhein-, Bahn- oder Camion-Transporten, auch Waren- und Zoll-Rechnungen. Es gab strenge Regeln, wer was zu bezahlen hatte. Nun brauchte man plötzlich die aus der Schule bekannten Mehrsatz-Rechnungen.

M. Nappez liess sich stundenlang Zeit mit der Kontrolle der von seinen 3 Sachbearbeitern ausgestellten Kunden-Rechnungen, und er entdeckte jede unserer Unterlassungs-Sünden mit der Konsequenz: Rechnung neu tippen! Also passte man selbst unter höchster Spannung gut auf. - Ich bekam bald einen gründlichen und interessanten Einblick ins internationale Transport-Netz, illustriert durch häufige Inspektion der per Rheinschiff ankommenden Waren.

Eines Tages verkrachten sich die Brüder Sobernheim, Prokuristen, und derjenige in der sogenannten Lagerspedition nahm Reissaus. Von den dort verbliebenen 3 Mann sprach keiner ein Wort Französisch; also orderte man mich per sofort an den Platz des Ungetreuen, ohne Beförderung!

Im hektischen Betrieb der Lagerspedition wurden die Dispositionen der auf dem Rhein eingetroffenen Waren getroffen: loses Getreide, nach Reinigung und allenfalls nach „Entkäferung“ (mittels Blaugas im Silo) eingelagert oder per Camion (abgesackt) und SBB (lose oder abgesackt) weiter geleitet.

Bei Niedrig-Wasser im Rhein wurden die bis 2000 Tonnen fassenden Rheinschiffe in Strassburg geleichtert, so dass wir bis 2 Tage vor Ankunft in Basel nicht wussten, wie sich die Ladungen auf Rhein und Binnenkanal verteilten. Also konnte nichts vorbereitet werden, bis die Herrschaften am Kai lagen, oft am Samstag. - Am Montag mussten die Kähne gelöscht, werden, d.h. die Verteil- und Zollpapiere coûte que coûte bereit liegen! Oft arbeiteten wir deshalb bis Samstagabend spät. Überzeit-Entschädigung (pauschal Fr. 100.-- für 7-8 Stunden) bekamen wir meist erst nach einer Kontrolle vor Ort durch das städtische Arbeits-Inspektorat.

Der Getreidehandel war für die Empfänger undurchschaubar; wir aber mussten Durchblick haben. Kam z.B. ein Ladung Weizen lose, unverzollt in Rotterdam an, wurde sie in Basel 10 Tonnenweise zerstückelt mit verschiedenen Bedingungen und Gewichtsvorschriften, anschliessend durch mehrere Händler weiter verkauft. So kaufte einmal ein Importeur von einem Schweizer Kollegen einen Teil seiner eigenen Ware wieder zurück, wobei Neptun höchste Diskretion zwischen den Kontrahenten walten lassen musste.

Die Marshall-Hilfe der USA zugunsten von Italien beschäftigte uns über längere Zeit: Die Häfen in Italien waren noch zerstört; so kamen Tausende von Tonnen Zucker via Rotterdam nach Basel. Hier wurden die Ladungen vom Rheinschiff in FS-Güterwagen umgeladen und durch den Gotthard in den Süden auf die Reise geschickt.

Gefürchtet waren die exotischen Hölzer, deren Stämme mehrere Tonnen wogen. An den beiden Enden wurden eine Art Winkelhaken angelegt. Über ihre Rollen führte ein Drahtseil mit einem Haken im oberen Seil-Durchlauf. Hier fasste der Kranhaken. Durch dessen Zug spannte sich die Drahtseil-Schlinge und die Winkelhaken griffen stärker zu. Sprang einer weg, stürzte die Last in den Schiffbauch hinab oder kollerte vom Stapel an Land in die Tiefe, und es gab tote Arbeiter.

Zur Besichtigung eines solchen Brücken-Laufkrans bestiegen ein Lehrling und ich unter Führung des Hafenmeisters-II den Kran-Ausleger und zwar während des Betriebes; am Ausleger-Ende schüttelten uns die Schläge durch Stop and Go der Horizontal-Bewegungen derart, dass man sich mit beiden Händen am Geländer festhalten musste, immer ca. 25 m über Boden bezw. über Wasser. Das war mein erster und letzter Ausflug auf einen Portal-Kran!

Im Büro herrschte Hektik vom Morgen bis Abend. Jeder Disponent hatte 2 Telefonapparate vor sich mit Unterbrecher-Tasten „Hören/Sprechen“. Links sprach man mit dem Verkäufer (z.B. von Getreide), rechts sagte der Kunde, wie und wo er die übernommene Ladung zu erhalten wünschte. Die Kostenaufteilung zwischen den Kontrahenten musste stimmen; nötigenfalls mussten wir vermitteln, sonst wäre Neptun zur Kasse gekommen! - Hier lernte man zügig telefonieren und disponieren, Deutsch oder Französisch!

Gesundheitlich litt ich unter meinem überempfindlichen Magen. Zum Glück konnte ich mir in der alkoholfreien Gaststätte das Essen in begrenztem Rahmen auswählen; oft blieb es bei Suppe und Brot am Mittag oder Abend.

So verging die Zeit zwischen den Weekends mit Hanni in Basel oder in Neuchâtel rasch. Verlobungs- und Heiratspläne wurden geschmiedet, wozu es aber einen familiengerechten Lohn gebraucht hätte. Deswegen sprach ich bei Herrn Direktor Levy vor, der mich das erste Mal vertröstete, beim zweiten Mal meinte er, ich würde doch nicht nur wegen des höheren Lohnes heiraten!

Anstatt mich mutig zu wehren, war ich beleidigt und kündigte auf das nächstmögliche Datum. Dabei hatte ich bereits einen Vertrag von den Papierfabriken Landquart in der Tasche. Jetzt versuchte Herr Levy, mich „Hundertfrankenweise“ zurückzukaufen, gemäss Viehhändler-Praxis! - Leider war ich nicht erfahren genug, um mich selbst zu verkaufen, und ich blieb bei der Kündigung.

Hanni und ich wären gerne in Basel geblieben. Wir hatten miteinander intensiv Stadt wie Land erkundet. - In der Firma war ich ordentlich integriert, machte z.B. im Firmensport mit, Abteilung Tischtennis. Zwei meiner Freunde würde ich auch vermissen; Arthur, genannt Thury, SBB-Angestellter, und den stillen Ernst, mit seinen rehbraunen Augen, unwiderstehlich für jedes Mädchen.

                                   aus meinen Memoiren übertragen 7.8.2013 cmi