Verpackungsmaschinenfabrik SIG: 1.7.54-31.3.78

24 Jahre „Schleudersitz“ SIG

 

Als 29jähriger Kaufmann, mit verschiedenen Zeugnissen, die sich sehen lassen durften, bewarb ich mich 1954 in der damaligen Verpackungsmaschinenfabrik (Vm) um eine Stelle als Verkaufs-Korrespondent. Beim Vorstellungsgespräch zeigte man mir die Montagesäle in Neuhausen. Die Vielzahl der Maschinentypen war faszinierend. Sie packten fast alles ein an Lebensmitteln, die wir bei COOP, Migros u.a. täglich einkauften.

Vielleicht war ich als „Märklin-Spieler" (ca. 7. - 14. Lebensjahr) für die Mechanik besonders sensibilisiert und begeistert von der Welt, die sich hier auftat: neu besonders, weil ich die SIG zuvor nur von den Emailschildchen her in den Eisenbahnwagen, als Waggonbauerin gekannt hatte. 

Den Abschluss des Vorstellungsgespräches bildete ein feines Mittagessen im Schloss Laufen, wo der Kandidat wohl auf seine Ess-Manieren geprüft wurde, wie ich zu spüren glaubte (im Hin-blick auf die später auf ihn wartenden in- und ausländischen Kunden!) Offenbar bestand ich die visuellen und kulinarischen Prüfungen. Der Anstellungsvertrag folgte, und meine Familie zü-gelte vom Bündner Land an den Rheinfall. 

Zu Start und Schulung (Schnell-Bleiche) im Büro wurde ich als Dritter einem Trio zugeteilt mit 1 Verkaufs-Ingenieur, 1 Direktions-Sekretär-Kandidaten, und unter die Fittiche von Ing. Hans Heim gestellt, der uns innerhalb weniger Tage die mehreren Dutzend (!) Maschinen-Typen an Hand sogen. technischer Typenblätter und einigen Prospekten vorstellte. Mein Kopf brummte! Leider wurden Kundenbesuche, wo man eine Ahnung von der Schokolade-, Keks-Confiserie-, Butter- u.a. Branchen hätte bekommen können, nur für die „technischen Herren" organisiert.

So kümmerlich instruiert, sollte der neue „Korrespondent" Offerten mit Begleitbriefen an Kunden und den SIG-Vertretungen schreiben! Was machen? - In den nach Maschinen-Typen zentral archivierten älteren Offerten-Kopien eine  Vorlage suchen, anpassen und diktieren auf Apparate mit Kolofonium-Walzen, welche die Sekretärinnen nach jedem Gebrauch abschleifen mussten. Die Walzen wurden brüchig; manche gaben deswegen den Geist und damit das darauf gesprochene Diktat auf. Es flossen Tränen der Sekretärinnen, auch Flüche der Korrespondenten hörte man. - Nach einigen Jahren bedeutete der Ersatz der Walzen-Geräte durch elektrische mit Aufzeichnung auf Magnet-Folien eine Erlösung.

Die Investitionsgüter-Industrie, wie die Vm, pflegte - aus langjähriger Erfahrung - einen beson-deren Briefstil, der einem anfänglich übertrieben vorsichtig, ja fast „gesucht" erschien. Allerdings nur bis zur ersten bitteren Erfahrung, verursacht durch eine eigene anstelle der bewährten Standard-Fassung in einem Kundenbrief, was meine Firma glücklichenweise nur ein paar Hundert Franken für das Nach-Schneiden von Cellophan-Rollen und dem Abweichler einen berechtigten Verweis kosteten.

Hier einige der Eiserne Regeln, z.T. aus der Broschüre „Das Gesicht des SIG-Briefes":

"Bedanken"             tut man sich beim Jassen; wir begnügen uns mit „danken"

                            (die sprachliche Unsitte hat zwar seither weiter um sich gegriffen)

„ohne weiteres"     geht nichts, denn bei allem gibt es Bedingungen und Voraussetzungen!

allgemein:             nach dem Satzzeichen „Punkt" tippen wir 2 Leerschlage.

Mit all den geschriebenen und mündlichen Vorschriften kam man sich anfänglich wie gefesselt vor, und man hatte vor der unbekannten Kundschaft grossen Respekt, ja Ehrfurcht, mindestens bis man sie an Ausstellungen (z.B. MUBA) und bei Besuchen persönlich kennen lernte.

Hin und wieder durfte ich nun als „stummer" (ausdrücklich erwünscht!) Begleiter des Vorgesetzten oder eines Verkaufs-Ingenieurs zu Kunden. Dank der Schweige-Empfehlung konnte ich mich umso besser auf das Beobachten der Kunden-Betriebe und die Gespräche des Delegationsleiters konzentrieren. So lernte ich nach und nach, wie es in den Fabriken unserer Kunden aussah, wie Schokolade, alle Arten Kekse, Confiserie-Artikel hergestellt werden, wie eine Getreide-Mühle, eine Seifenfabrik u.a. arbeiteten, wie die Butter in die und aus der Verpackungsmaschine gelangte, aber auch einiges an Verhandlungstechnik.

Im ersten Dienstjahr nahm ich jeden Abend die Kopien (zusammengefasst im sogen. „Brettli"*) der ausgehenden Tagespost zum Studium nach Hause, jede Woche auch einen Stapel von Fachzeitschriften der Kunden-Branchen.

Das erste Jahr war wirklich hart, musste man sich doch durch anstrengendes Zappeln und mit Geduld vor dem Ertrinken in der neuen, doch höchst interessanten Branche retten. - Langsam verstand ich, weshalb in den 5 Jahren vor meinem Start 3 Vorgänger verfeuert wurden. Ein Kollege empfahl mir, 5 Jahre zu bleiben, zu lernen und dann Reissaus zu nehmen. - Sass ich nun selbst auf einem Schleudersitz?

Aufgeben wollte ich aber auf keinem Fall, mindestens nicht im ersten Jahr - es wurden 24 Jahre bei der Vm und 9 Jahre bei der TRANSVER daraus! Es gab und gibt nichts zu bereuen-im Gegenteil: ich hatte wohl die interessantesten Posten im Vm-Verkauf und bei der Tochterfirma inne. Zurück zur Anfangszeit:

Nach einigen Jahren ermunterte mich der damalige Direktor F. Reichenbach: „Besuchen Sie hin und wieder die Kunden in der Schweiz, sonst bekommen Sie einen Büro-Hintern" - und - „Sie müssen nicht weitere Leute um Erlaubnis fragen". Das war ein Freipass, den ich sofort ausnützte, was mir vom Verkaufs-Chef das Prädikat vom „eigenen Laden“ eintrug.

 Die Kundenbesuche waren aber nur möglich, weil meine Sekretärin Loni Surber zugleich meine Stellvertreterin war und zwar: kompetent

Nur ein einziges Mal fragte mich, nach dem Kauf der dritten Keks-Verpackungsmaschine, ein Kunde: „Was sind Sie eigentlich von Beruf". Auf die Antwort „Kaufmann" folgte: „Wie haben Sie es denn fertig gebracht, mir 3 Maschinen ins Haus zu stellen?" - Antwort: „Mit einer einfachen Kosten-Nutzen-Rechnung und einem 10-zeiligen Begleitbrief; das war der Start für die
Nummer 1!“

Innerhalb 24 Jahren baute sich mit den Vm-Kunden ein Vertrauensverhältnis auf, das mich an manchen Problemen, manchmal sogar an ihren Hobbies, teilhaben liess. - Viele Anfragen konnten wir bei SIG nicht aus dem eigenen Programm beantworten, aber anstatt einem trockenen „Nein" versuchte ich immer, Adressen von möglichen Anbietern ausfindig zu machen und weiter zu geben. Ich durfte einmal sogar einem libanesischen Fabrikanten erklären, wie man Gelee-Artikel herstellt, nachdem ich mich bei einem Schweizer Fabrikanten über das Prinzip, verbunden mit einer „Original-Vorführung", kundig gemacht hatte.

Die Beratung in Packstoff-Fragen,  oft mit entsprechenden Probeläufen auf dem einschlägigen Maschinentyp in unserer Fabrik, brachte ebenso Punkte ein.

Die erwiesenen vielen Gefälligkeiten, welche mich wohl Zeit kosteten, honorierten die meisten Kunden mit der Bewilligung, einzelnen Personen oder Gruppen ausländischer SIG-Kunden die Verpackungsmaschinen in ihrer Fabrik vorzuführen, was allen Verkaufsgebieten zugute kam.

Mit 62 Jahren, etwas ausgelaugt nach der strengsten Zeit bei TRANSVER, aber glücklich und zufrieden, ging ich 1987 in Pension und wohne seither wieder in Neuhausen. 

Christian Michael  10. Mai 2006