Lehre & erste Anstellung

KV-Lehrling Christian 1941-46

bei der Kollektiv-Gesellschaft "Weibel + Kranz, Chur"

Herr Kranz, gebürtiger Liechtensteiner, weitbekannter Ofen- und Cheminebauer, von gedrun-gener Statur, Tabak-Kauer, verkörperte mit seinen 65-70 Jahren die ältere Generation.

Er entwarf seine Briefe an die Kunden meist auf dünnem Kopien-Papier, mit stumpfen Bleistift-Stummeln. Sein Deutsch war nicht über alle Zweifel erhaben und brachte den Lehrling bei der Übertragung auf der alten Schreibmaschine oft in Verlegenheit. Durfte der junge Anfänger die Texte des bestandenen Meistes entwirren, korrigieren, damit sie auch beim kollektiven Unterschreiben vor dem jungen Compagnon Weibel Zustimmung fanden? Wenn nicht, gab es eine Zweitfassung, d.h. neue Qual an der Schreibmaschine für den Lehrling. Vielleicht hatte aber nicht nur der Lehrling, sondern auch der Lehrmeister Hemmungen?!

Auf alle Fälle erlebte ich früh die Schwierigkeiten des Zusammenarbeitens von zwei Generationen, zwei Berufsgattungen (Hafnermeister und Kaufmann!), rechtlich gleich-berechtigte Gesellschafter. Es braucht ein Übermass an Toleranz von den Partnern - und einen geduldigen, still gehorchenden Lehrling, der erst ein Jahr später in den Genuss des schulischen Schreibmaschinen-Unterrichts kam.

Herr Weibel, ca. 28 Jahre, Jung, Kaufmann, Vorsteher der Platten-Abteilung, gross gewachsen, eher hager, im Militär Fourier-Gehilfe, sah mir etwas ähnlich. Gemeinsam auf Baustellen hielt man uns anfänglich einige Male als Brüder, was den jungen Chef offensichtlich in eine unnötige Verlegenheit brachte. Vielleicht wurde ich deshalb 3 Jahre Lang mit „Lehrling" und nicht mit Vornamen angesprochen! Leider war ich zu scheu, um mich zu beschweren! (und der Chef auf seine Art gehemmt?)

Kaum einige Wochen am Arbeitsplatz wurden die Herren Weibel und Tschuor zum Aktiv-Militär-dienst einberufen. So reduzierte sich die kaufmännische Abteilung auf den taufrischen Lehr-ling. Glücklicherweise konnte Herr Weibel seinen Dienst in einem Büro in der Stadt absol-vieren, so dass er in Notfallen telefonisch konsultiert werden konnte. 

Man übergab mir ein Postscheckheft mit einigen blank unterschriebenen Schecks zum Geld abheben für die Arbeiter-Zahltage, die ich von den Stunden-Rapporten ausgehend aufbereiten und auszahlen durfte. Auch der Verkehr mit der Bündner Privatbank war mir anvertraut, inkl. Verwaltung der Zessions-Kredite, die wir für grössere Aufträge laufend in Anspruch nahmen.

Bald liess mich Herr Tschuor einmal Kundenrechnungen mit der Ruf-Durchschreibe-Buch-haltung verarbeiten. So „eingeweicht" folgte ich dem Buchhaltungsunterricht in der Berufs-schule ohne Schwierigkeiten.

Von Zeit zu Zeit bezogen wir Keramik-Wand- und Bodenplatten, sowie Erz- und Schamotte-ziegel, in 10 Tonnen-Waggonladungen. Zum Umlad ab SBB auf den Camion wurde auch der KV-Lehrling aufgeboten. Es gab abgeschabte Fingerspitzen und staubige Berufsschürzen, welche Mutter unter Protest wusch. Sie liess sich nur mit Mühe von einem geharnischten Protest bei der Lehrfirma abhalten, wegen „Missbrauches" des Büropersonals!

Ausnahmsweise spielte ich auch Camionneur mit einer Zweiräder-Stosskarre, wenn es darum ging, kleine Nachlieferungen (z.B. 50 kg Zement) auf lokale Baustellen oder via Güterexpedi-tion auf die Bahn zu bringen. Oft waren bei der SBB auch Express-Sendungen abzuholen, immer mit Karre und über die kurze und steile Strasse. Nicht einmal ein Velo-Anhänger war vor-handen!

Als unsichtbares Entgelt lernte ich alle Materialien gründlich kennen; Ziegel z.B. auf Augen-mass ohne Zücken des Metermasses!

Als Höhepunkt der „ausserdienstlichen" Aufgaben durften auch die Transporte von Öfen (bis 500 kg mit bis zu 6 Mann, unter technischer Aufsicht von Herrn Kranz, gelten. Gefürchtet waren enge, steile Treppen, aber Meister Kranz dirigierte seine Mannschaft kompetent, für gleichmässige Lastenverteilung, mit „geraden Rücken"!

Auch der kleine, nicht unterkellerte Ausstellungsraum gehörte zu meinem Schicksal, vor allem im Winter, wo auch heisses Wasser beim Aufnehmen des Klinker-Bodens fortwährend zu Eis erstarrte, mit Kochsalz flüssig gehalten werden musste und meine Hände blau anliefen!

Telefonieren lernte man durch die Praxis. Daneben blieb nur noch das Briefe-Schreiben; kein FAX und noch lange kein PC. Im Frühjahr 1949 absolvierte ich die Lehrabschlussprüfung mit Durchschnittsnote 1.2, was den 2. Rang, nach Freund Jos Feldmann, bedeutete. Mit der Lau-datio, am Abschlussball, erhielt ich das Buch „Ein Kampf um Rom", mit Widmung; in der Firma opferten die Chefs Fr. 100.--, die wir zuhause gut gebrauchen konnten.

Wahrend dieser Zeit gab es auch französische Korrespondenz, bei deren Abwicklung ich nicht nur Blut schwitzte, sondern auch schwor: Französisch will ich in der Welschschweiz lernen. - Ich schrieb manche Bewerbungs-Briefe an dortige, grössere Firmen, ohne Erfolg.

Herrn Weibel konnte ich nur mit der Lüge, ich hätte eine Stelle gefunden, davon abhalten, mir einen neuen Arbeits-Vertrag zu unterbreiten. Das war eine indirekte Kündigung.

Die „Erlösung" für mich kam mit einer Einladung zur Vorstellung von der ELEXA SA Neuchâtel. - Mit einem Vertrag im Sack konnte ich mich nun doch von der Lehrfirma sowie Bruder und Mutter in Chur verabschieden.

Der Welschland-Aufenthalt dauerte 3 Jahre und Französisch wurde zu meiner 2. Sprache.

Christian MICHAEL    Juli 2011